Der Ausstellungsparcours zu „Fast Fashion“

Der vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg konzipierte erste Teil des Ausstellungsparcours gliedert den Themenkomplex Fast Fashion in mehrere Stationen. Ein eigens für die Ausstellung produzierter Film stimmt den Besucher ein. Es geht um den Grundwiderspruch: Auf der einen Seite wird der glamouröse Auftritt der Modeindustrie gezeigt – auf der anderen Seite die problematischen Bedingungen der Bekleidungsproduktion in den Herstellerländern.

Fashion & Victims

Die Ausstellung möchte die Rolle zweier gegensätzlicher Seiten des Fast Fashion-Phänomens als Leidtragende begreiflich machen: die der Konsumenten in den Überflussgesellschaften und die der Produzenten in den Billiglohnländern. Denn auch wir Verbraucher werden instrumentalisiert, indem wir zum Mehr-Kauf animiert werden. Welche Psychologie steckt z.B. hinter der Strategie der Sonder- und Ausverkaufsaktionen, der „Limited Editions“?

Niedrige Preise verlocken dazu, mehr Kleidung zu kaufen als wir tatsächlich benötigen. Sie aktivieren einen Reflex: Da wir angeblich Geld sparen, glauben wir, tatsächlich noch genug übrig zu haben, um uns Zusätzliches leisten zu können. Für neue Kaufanreize sorgen regelmäßig die Outfits der Stars und Sternchen. Ihre High End-Kleidung wird uns in preiswerten Varianten angeboten. Oder es wird Knappheit suggeriert – denn was nur für kurze Zeit und begrenzt erhältlich ist, erscheint uns begehrenswerter und wertvoller als die „normale“ Massenware.

In sogenannten „Haul Videos“ – haul (englisch) bedeutet „Fang“ oder „Fischzug“ – präsentieren überwiegend jugendliche Käufer die Beute ihrer Shoppingaktionen. Mit ihren selbstgedrehten Clips für Social Media prägen sie ein neues Filmformat, das wiederum von den Fast Fashion-Brands als Werbetool eingesetzt wird. Deutlich wird: Mode erfüllt zwar Bedürfnisse wie das Streben nach sozialer Anerkennung und Selbstverwirklichung. Durch die Fast Fashion aber wird vor allem die Lust am Kaufen angeregt, die sich bis zur Sucht steigern kann. Dann geht es nicht mehr um Kleidung, sondern um den Kick beim Einkaufen. Shoppen bedient dann das Belohnungssystem unseres Gehirns.

Die niederländische Designerin und Künstlerin Elisa van Joolen beschäftigt sich in ihrer Arbeit „11“ x 17““ mit dem „hybriden Konsumenten“, der sich nicht eindeutig einem Preissegment zuordnen lässt. Er kauft sowohl Discounterware als auch Qualitätsprodukte.

Elisa van Joolen: „Die Menschen kleiden sich in einer Mischung aus verschiedenen Marken und kombinieren neue Kleidungsstücke mit solchen aus zweiter Hand. Es gibt sogar Zeitschriften, die die Zusammenstellung der verschiedenen Marken zu einem Outfit propagieren. Das Tragen verschiedenartiger Kleidung ohne hierarchische Abgrenzungen zwischen z.B. gebraucht und High-End passt zum heutigen Zeitgeist. Genauso wie die Art, wie wir das Internet benutzen; alles existiert nebeneinander. Man könnte darin ein neues Produktivitätskonzept erkennen: die schon bestehenden Ausdrucksarten einer Kultur wiederverwenden, ausprobieren und mischen. Das ist es, was ich im Projekt „11“ x 17““ untersuche. Ich kombiniere verschiedene Kategorien aus der gesamten Bandbreite der Mode in einem einzigen Kleidungsstück. Ich will gerade diese Art Pluralität der Verbindung zwischen den Marken entstehen lassen. Wenn man wirklich darüber nachdenkt, ist ein Kleidungsstück, jedes Kleidungsstück, schon an sich eine Kollektivarbeit. Es wird entworfen durch eine Person, die Zeichnung wird dann z.B. nach Vietnam geschickt, wo ein Teil produziert wird, der dann nach China versendet wird, wo die Knöpfe angenäht werden. Dann wird es nach Europa verfrachtet und in einem Laden vermarktet. Also enthält jedes beliebige Kleidungsstück schon eine ganze Menge Zusammenarbeit.“

Die aus Bangladesch stammende Dokumentarfotografin und Aktivistin Taslima Akhter porträtiert in ihrer Fotoserie „Death of a Thousand Dreams“ das Schicksal der Textilarbeiter nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Dhaka, Bangladesch. Am 24. April 2013 stürzte das neunstöckige Geschäftsgebäude ein und verursachte den Tod von mehr als 1.134 Arbeitern. Viele Familien wurden auf der Suche nach ihren Angehörigen zwischen Polizeistationen und Leichenhallen hin und her geschickt, viele Menschen werden immer noch vermisst. Taslima Akhter: „Die ArbeiterInnen des Rana Plaza sind nur ein Teil der vier Millionen Arbeiter in der Bekleidungsindustrie Bangladeschs. Durch den Anhänger ‘Made in Bangladesh’ auf den Produkten verdienen sie sehr viel Hartwährung für die Wirtschaft des Landes. Die Menschen kommen aus den Dörfern in die Arbeiterbaracken der Städte mit dem Traum eines besseren Lebens. Alle ihre Träume liegen jetzt unter den Trümmern des Rana Plaza begraben. Der Einsturz wirft Fragen an die nationalen und internationalen Eigner, an die Marken und die Regierungen auf, Fragen über ihre Rolle bei der Durchsetzung sicherer Arbeitsbedingungen. Er wirft ebenfalls Fragen über die Verantwortung aller Bürger und Verbraucher auf. Ich habe versucht, in dieser Fotodokumentation die Geschichte des Todes von tausend Träumen darzustellen.“

Auch der deutsche Künstler Manu Washaus bezieht sich mit seiner Arbeit „SWEATER. Study of the Possible II“ auf das Verhältnis von Verbraucher und Produzent: „In Shenzhen in der chinesischen Provinz Guangdong hergestellt, stammen die Pullover aus derselben Produktionsmetropole, in der iPhones, Laptops, Spielzeug, nachgemachte Ölgemälde und viele andere Güter unseres täglichen Bedarfs hergestellt werden. Wir, die Verbraucher, haben keine Ahnung unter welchen Bedingungen sie produziert werden, obwohl wir gelegentlich Einblicke erhaschen. Wir hören in den Nachrichten, wie chinesische Arbeiter Selbstmord begehen, um den deprimierenden Arbeitsbedingungen zu entgehen.
Wir sehen Bilder eingestürzter Textilfabriken und Produktionshallen in Bangladesch. Mehr als 2.000 Tote. Das Leben eines Arbeiters ist $ 1.932 wert, lesen wir. Der Staat gibt noch $ 7.000 obendrauf, um die Angehörigen der getöteten Männer und Frauen ruhig zu halten. Wir lesen über die Anonymität dieser Menschen, die toxischen Chemikalien ausgesetzt sind, 16 Stunden am Tag in fensterlosen Räumen ohne Tageslicht und ohne Toilettenpausen für ein Monatsgehalt von $20 schuften. Wir lesen, dass es schwierig ist, sie zu identifizieren, diese gesichtslosen Arbeiter, die ihr Leben opfern, damit wir preisgünstige, trendige, sogar ironische Kleidung und Güter für unsere alltäglichen Bedürfnisse haben. Wir werden mit den reizvoll-entsetzlichen Bildern dieser Todesfälle überflutet. Wir sehen den Opfern ins Gesicht, wenn wir die Nachrichten im Fernsehen sehen, einkaufen gehen, einen Flug buchen, einen Reisekoffer für $40 bestellen. Ich habe nachrecherchiert und den Produzenten dieser Pullover ausfindig gemacht. Er hat eingewilligt, mir fünfzehn Exemplare eines mit einem von mir ausgesuchten Design bedruckten Pullovers zu schicken, mit einer Option auf eine weitere, größere Bestellmenge. Ich werde ihn beauftragen, als Aufdruck die Zeitungsbilder des eingestürzten Fabrikgebäudes in Bangladesch zu nehmen und zu produzieren, als sich wiederholendes ästhetisches Muster – ein Motiv, mit dem uns die Medien immer wieder konfrontieren.“

Mangel & Überfluss

Tim Mitchell, Clothing Recycled © Tim Mitchell 2005

Im Durchschnitt besitzen westliche Konsumenten heute vier Mal mehr Kleidung als 1980. Manche Kleidungsstücke werden im Durchschnitt nur 1,7 Mal getragen, bis zu 20 hängen ungetragen im Kleiderschrank, bevor sie entsorgt werden. Altkleider sind also ein Spiegelbild der Überflussgesellschaft. Allein in Deutschland fallen jährlich ca. 1,2 Millionen Tonnen Altkleider an. Die Kehrseite ist: Über die Hälfte der Weltbevölkerung ist auf Secondhand-Kleidung angewiesen. Über ein weit verzweigtes Netz an Händlern gelangen die ursprünglich gespendeten Altkleider auf die lokalen Märkte in unzähligen Ländern, vor allem aber nach Afrika. Der Film Mitumba – das Wort bezeichnet die in Kunststoff gebündelte Altkleidung, die in Industriestaaten an karitative Nichtregierungsorganisationen für Afrika gespendet wird – führt auf die Altkleidermärkte in Afrika.

Der niederländisch-kanadische Fotokünstler Paolo Woods thematisiert mit seiner Arbeit „Pepe“ den Rückfluss gebrauchter T-Shirts aus Nordamerika nach Haiti an den ursprünglichen Ort ihrer Produktion. Paolo Woods: „Die Fifth Avenue in Port au Prince liegt direkt am Wasser nur unweit vom Hafen, wo Berge von gebrauchter Kleidung in der tropischen Sonne schmoren. Auf dem dortigen Markt, Croix-des-Bossales, wurden früher Sklaven verkauft. Heutzutage kommen hier Container voller Röcke, Hosen und Hemden aus den USA an. Diese gebrauchten Kleidungsstücke werden ‚Pepe’ genannt: Man sieht heute kaum einen Haitianer, der nicht etwas trägt, was früher von einem Amerikaner getragen wurde. Ein für Wal-Mart in den Fabriken von Port au Prince hergestelltes T-Shirt wird zuerst die Brust eines Texaners schmücken und geht dann zurück an den Absender, der es dann endlich mal selber tragen darf. Dieses Hin und Her gewährt uns einen Einblick in den Mechanismus der nunmehr globalisierten Kleidungsindustrie. Weitaus die meisten ‚Pepe’, die auf der Insel angeliefert werden, sind Spenden von Amerikanern an Wohltätigkeits-organisationen und Altkleidersammlungen, die von den Secondhand-Läden abgelehnt wurden und die jene von Haitianern in Miami betriebenen Lagerhallen hinter sich haben, in denen die Winterkleidung und andere unverkäufliche Stücke aus der Masse aussortiert werden. Aber die schlechtesten T-Shirts, diejenigen, die sich kaum mal in den Ramsch-Souvenirläden am Times Square verkaufen ließen, die mit den dümmsten Sprüchen – dank der wundertätigen freien Marktwirtschaft tauchen sie wieder in den entlegenen Provinzen von Haiti auf, wo keiner sich die Mühe gemacht hat, solche Poesie ins Kreolische zu übersetzen. Man sagt, das T-Shirt –zusammen mit dem Autoaufkleber – sei die Lieblings-Projektionsfläche für die Selbstentfaltung der Amerikaner: eine Art persönliche Reklametafel, auf der in komprimierter Form politische, philosophische und religiöse Glaubensartikel prangen. Das wäre alles recht amüsant und sogar ironisch, hätte der Handel mit ‚Pepe’ nicht die Existenz von tausenden haitianischen Schneidern vernichtet: ‚Pepe’ – oder wie grottenschlechte T-Shirts beispielhaft fünfzig Jahre Nord-Süd-Beziehungen veranschaulichen.“

Fast Fashion verändert die Wertschätzung von Kleidung. Früher wurde sie sorgfältig gepflegt, repariert und umgeändert. Heute ist das arbeitsintensive Reparieren oft teurer als der Neukauf. Aber es gibt Gegenbewegungen wie das Upcycling. Hier werden nicht nur Ressourcen geschont, es entstehen auch neue Arbeitsplätze. Der Film „Unravel“ der indischen Filmemacherin Meghna Gupta setzt sich ebenso wie die Fotoarbeit „Clothing recycled“ des englischen Dokumentarfotografen Tim Mitchell mit der Verarbeitung von Altkleidung zu Notdecken im indischen Panipat auseinander. Diese Notdecken werden bei weltweiten Einsätzen in Katastrophengebieten verwendet.

Global & Lokal

Obwohl es sich bei Kleidungsstücken um „einfache“ Produkte handelt, ist die Liefer- und Wertschöpfungskette von Fast Fashion äußerst komplex. Eine Litfaßsäule informiert die Besucher über die Zusammenhänge in der globalen Bekleidungsindustrie vom Rohstofflieferanten bis zum Endverbraucher.

Kostspielig sind Design, Kollektionsplanung und Marketing. Sie sind in westlichen Unternehmen angesiedelt. Die arbeitsaufwendigen Produktionsschritte vom Zuschnitt über das Nähen bis zum Verpacken sind in asiatische Billiglohnländer ausgelagert. Seit knapp zehn Jahren ist China größter Bekleidungsproduzent mit einem aktuellen Marktanteil von 38 Prozent am weltweiten Export. Auf den nächsten Plätzen folgen Bangladesch, Vietnam und Indien. Auf den vorderen Plätzen rangiert auch die Türkei als größter Bekleidungshersteller in EU-Nähe, die wiederum Aufträge nach Tunesien, Marokko oder auch Zentralafrika weiterleitet. Im Wettlauf um noch günstigere Produktionskosten vergeben die Produzenten Teile der Herstellung an diverse Subunternehmer, die ihrerseits weitere Subunternehmer beauftragen. Dadurch entsteht eine große Intransparenz. Häufig wissen die Auftraggeber nicht, in welcher Fabrik ihre Ware hergestellt wird.

Vor diesem Hintergrund sind die weit verbreiteten Made In-Labels in den Kleidungsstücken wenig aussagekräftig, da die einzelnen Herstellungsschritte der Produkte in verschiedenen Ländern erfolgen. Eine eigens für die Ausstellung entwickelte Installation mit Kleider-Etiketten führt zugleich die wichtigsten Produktionsländer für Bekleidung vor Augen.

Zeit – ein Faktor, der in der textilen Versorgungskette eine maßgebliche Rolle spielt: Die Steuerung erfolgt im Rahmen eines vertikalen Produktmanagements vom Handel aus. Was heute im Geschäft verkauft wird, soll in den Fabriken – mit neuen modischen Inhalten und zu gleichbleibend niedrigen Preisen – morgen bereits nachproduziert sein. Vom Entwurf bis zur Auslieferung bleiben oft weniger als zwei Wochen. Das erlaubt nur geringe Pufferzeiten. Den Nähereien bleiben maximale Durchlaufzeiten von ein bis zwei Tagen. Die Folge: die kurzfristige Erweiterung der Kapazitäten in Form von 10 bis 16-Stunden-Tagen für die einzelnen Näherinnen.

Zeit (und Kosten) werden auch gespart, wenn die Zahl der zu fertigenden Muster und Varianten gering gehalten wird. Dafür werden Mensch, Schnitt und Stoff mit 3D-Simulationen exakt visualisiert, damit der Hersteller Passform, Stoffverhalten, Faltenwurf oder Aufdrucke digital für verschiedene Größen überprüfen kann – am statischen Modell oder in Bewegung.

Lohn & Gewinn

Infografiken verdeutlichen das Thema Ökonomie: In den asiatischen Produktionsländern oder in Osteuropa werden meist nur Mindestlöhne gezahlt, die unter dem Existenzlohn liegen. Dabei entsprechen die Lohnkosten nur maximal ein bis zwei Prozent des Endpreises für einen Fast Fashion-Artikel, aber auch für Bekleidung im mittleren Preissegment.

Taslima Akhter, Rana Plaza Collapse - Death of 13 © Taslima Akther 2013

Taslima Akhter, The Life & Struggle of Garment Workers © Taslima Akther 2009

Auf Schaufenstern wird eine weitere Arbeit von Taslima Akhter aufgespielt: „Das Leben und der Kampf der TextilarbeiterInnen“. Taslima Akther: „Mit dem Traum eines besseren Lebens sammeln sich Millionen ArbeiterInnen aus den Dörfern Bangladeschs in den Arbeiterkasernen der Städte. Lija, Modhumala, Shomapti, Masud, Brojesshwar gehören dazu. Von den über vier Millionen Beschäftigten sind 80 Prozent Frauen. Riesige Arbeiterkasernen sind im Umfeld der Textilindustrie aufgeschossen. Bis 2013 schufteten die ArbeiterInnen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang für einen Mindestlohn von BDT 3.000 Taka im Monat (unter 37 $). Dann gab die Regierung einen neuen Bruttomindestlohn von BDT 5.300 (etwa 66 $) bekannt, der aber immer noch nicht zum Leben reicht. Die Forderungen dieser vier Millionen ArbeiterInnen sind äußerst bescheiden. Sie träumen nicht vom Auto oder vom Eigenheim oder überhaupt von irgendwelchen Luxusgütern im Leben. Alles, was sie verlangen, ist grobes Reistuch und ein kleines Dach über dem Kopf. Sie wollen ihre Kinder in die Schule schicken. Sie wollen nicht, dass ihre Kinder die gleiche Arbeit verrichten müssen wie sie, aber sie haben keine andere Wahl. Wieviel bringt ihnen ihre Zurückhaltung bei ihren Forderungen? Warum zerbricht ihr Traum im alltäglichen Kampf ums Überleben, in Bränden oder beim Einsturz der Gebäude? Ich habe versucht, das Leben und den Kampf dieser Million ArbeiterInnen hier darzustellen, vor allem das Leben und den Kampf der Frauen. Die Textilarbeiterin Lija erzählt: ‚Ich wollte Künstlerin werden, Zeichnerin und Kunsthandwerkerin, aber jetzt liegt mein Traum in Ruinen mitten zwischen den Maschinen, im Schutt und manchmal im Feuer.´”

Helena Waldmann, Made in Bangladesh, © Helena Waldmann 2014

„Made in Bangladesh“ ist eine politische Choreographie der in Berlin lebenden Tanzregisseurin Helena Waldmann. Zusammen mit zwölf Kathak-TänzerInnen aus Bangladesch hat sie in den berühmt-berüchtigten Textilfabriken Bangladeschs recherchiert und die Arbeitsbedingungen, die sie dort vorfand, in Tanz umgesetzt. Den nordindischen Kathak, den die farbenfroh gekleideten Tänzer in den Boden hämmern, hat Helena Waldmann aller Ornamentik beraubt. Die Füße treten mit den Stichen der ratternden Nähmaschinen ebenso um die Wette wie ihre Pirouetten mit den Garnspulen. Die schnellen Rhythmen des Kathak-Tanzes machen die Erschöpfung körperlich spürbar. „Ich bin körperlich nicht stark genug für diese Arbeit. Ich erlebe Ausbeutung und Missbrauch." Solche und andere Statements von Nähern erscheinen gelegentlich als Projektion auf der Leinwand. Die Tänzer verkünden dagegen ganz anderes ins Mikrophon: „Ich bin stolz, Teil der Modeindustrie zu sein – stolz, unabhängig zu sein." Auch das sind Sätze der Näher und es sind genau diese nicht aufgelösten – und nicht auflösbaren – Ambivalenzen, die Helena Waldmann bei den Recherchen herausgefiltert hat und auf der Bühne nebeneinander stellt. Denn was für den einen Näher Ausbeutung darstellt, bedeutet für den anderen einen ersten Schritt zur finanziellen Unabhängigkeit.

Auch die deutsche Fotokünstlerin Susanne A. Friedel beleuchtet in ihrer Arbeit „Beyond Fashion“ die prekäre Lohnsituation der Textilarbeiter in Asien und Osteuropa. Susanne A. Friedel: „Dazu wurden verschiedene Kleidungsstücke der Fast Fashion-Brands im Stil klassischer Fashion-Shootings inszeniert. Zitate von ArbeiterInnen über die Arbeitsbedingungen in diesen Fabriken bestimmten die jeweilige fotografische Inszenierung. Mindestlöhne, die nicht zum Leben reichen, sind dabei nur ein Teil der massiven Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen, denen die vornehmlich weiblichen ArbeiterInnen in den Textil-Fabriken ausgeliefert sind. In Anlehnung an die von diesen Firmen verwendete Werbe-Ästhetik zielt die Arbeit darauf, den/die Betrachter/in als Konsument/in der ‚beworbenen’ Kleidung anzusprechen und gleichzeitig jenen eine Stimme zu verschaffen, die den wahren Preis im heutigen Fast Fashion-Business bezahlen.“

Einen Kontrapunkt dazu bildet die Arbeit von Christin Losta. „Toute la collection“ beschäftigt sich mit dem westlichen Maßschneider-Handwerk, das hohes Ansehen genießt: „Die Herstellung eines maßgefertigten Kleides kann je nach Aufwand an die achtzig Arbeitsstunden und mehr beanspruchen. Es wird in vielen Arbeitsschritten im Atelier hergestellt. Manche Details, wie etwa das Einsetzen eines Ärmels, sind ausschließlich dem Meister vorbehalten. Das Schneiderhandwerk besitzt eine lange Tradition, die Identität und Werte stiftet.“

Chemikalien & ökologischer Fußabdruck

Nahezu jedes Kleidungsstück ist heute veredelt oder behandelt und daher mit Chemie behaftet. An einer Kleiderstange in der Ausstellung hängen verschiedene Kleidungsstücke mit ihrem jeweiligen chemischen Steckbrief. Verschiedene Filme informieren über das schädliche Sandstrahlen von Jeans für den beliebten Used Look, über die gefährlichen PFC (Per- und polyfluorierte Chemikalien) sowie über den lebensgefährlichen Einsatz von Pestiziden, der nicht selten tödlich für die Arbeiter endet. Entlang der textilen Produktionskette werden insgesamt bis zu 7.000 Chemikalien eingesetzt. Die Textil- und Bekleidungsindustrie gehört damit weltweit zu den sieben größten Umweltverschmutzern – und die Folgen sind offensichtlich:

Der Tullahan-Fluss in den Philippinen trägt die Modefarbe der Saison: pink. Anwohner des Flusses erzählen, dass der Fluss seine Farbe fast jeden Tag mehrfach wechselt – je nachdem, wie in der nahe gelegenen Textilfabrik gefärbt wird. Jeansblaues Wasser gibt dagegen den Flüssen im chinesischen Xintang (Zengchen) ihre unnatürliche Farbe: die Abwässer einer Fabrik, in der die Hosen gewaschen werden. Leidtragend ist die oftmals bitterarme Bevölkerung in der Umgebung der Fabriken, deren Trinkwasser verdorben ist. Diese beiden Beispiele sind keine Einzelprobleme: Vor allem in China, Bangladesch und Indien ist der Einsatz gefährlicher Chemikalien weitgehend unreguliert, Klärwerke sind selten. Das Ergebnis: Allein in China haben 320 Millionen Menschen keinen Zugang mehr zu sauberem Trinkwasser.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat im Rahmen ihrer Detox-Kampagne immer wieder giftige Stoffe in Fabrikabwässern, Flüssen und Seen nachgewiesen. In dem Report „A Little Story About A Monstrous Mess“ zum Beispiel wies Greenpeace nach, dass Textilfabriken giftige Rückstände ins Meer leiten. Satellitenbilder zeigen Abwässer, die sich wie eine riesige schwarze Wolke – so groß wie fünfzig olympische Schwimmbecken – im Meer ausbreiten. Der Verursacher dieser Umweltkatastrophe: das Industriegebiet „Wubao Dyeing“ in der Nähe der chinesischen Stadt Shishi, in dem ein Großteil der chinesischen Kinderkleidung für den Export produziert wird.

Angesprochen wird auch Pestizideinsatz in Baumwollanbau: Etwa 10 Prozent der weltweit eingesetzten Pestizide und 25 Prozent der Insektizide entfallen auf den Anbau von konventioneller Baumwolle. Pestizide sind hochgefährlich. Sie können chronische Schädigungen und akute Vergiftungen hervorrufen. Besonders betroffen sind davon die Menschen im Baumwollanbau. Laut Internationaler Arbeitsorganisation sterben jährlich zwischen 2 und 5 Millionen Menschen an Vergiftungen durch Pestizide. Aber auch der enorme Wasserbedarf hat spektakuläre Folgen:

Der Aralsee war noch vor 50 Jahren der viertgrößte Binnensee der Erde. Flussumleitungen zur Bewässerung von umliegenden Baumwollplantagen, vor allem in Usbekistan, führten jedoch dazu, dass seine Oberfläche auf zwei Drittel der ursprünglichen Fläche schrumpfte. Der See zerfiel in mehrere Becken, von denen das östliche 2014 erstmals komplett austrocknete. Die Austrocknung des Aralsees zählt zu den größten, vom Menschen verursachten Umweltkatastrophen.

Die Schweizer Künstlerin Andrea Vogel bewässerte für ihre Video-Arbeit „Fontana Uno“ zwei stillgelegte Brunnenanlagen im Parco Del Oppio in Rom. Einer Statue gleich steht die Künstlerin in einem rosafarbenen Kleid auf einem Felsen. Aus dem Saum des Kleides strömt Wasser, das den trockenen Stein benetzt. Das Kleid ist aus billigen Abfallsäcken gefertigt, wie sie tagtäglich auf Mülldeponien landen und millionenfach Wälder und Meere verschmutzen. Dem Betrachter bieten sich verschiedene Interpretationsansätze: Steht das ausgetrocknete Brunnenbett für die wüsten Landschaften, die wasserintensive Monokulturen und giftige Färbemittel hinterlassen? Und die erstarrte Brunnenskulptur – sind wir das? Die Konsumenten, die kaum Getragenes achtlos entsorgen?

Der Besuch des ersten Teils der Ausstellung endet in der Umkleidekabine mit Vorhang und Spiegel. Hier löst sich die Kleidung in ihre jeweiligen Fasern auf und besteht am Ende nur noch aus Chemiefasern bzw. Naturmaterialien wie Baumwolle.








Fast Fashion.
Die Schattenseiten der Mode
12. Oktober 2018 bis 24. Februar 2019

Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt
Cäcilienstraße 29-33
50667 Köln
0221/221-31356
rjm@stadt-koeln.de
www.museenkoeln.de/rjm
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